Die Ergebnisse des Projekts schwule Gesundheit haben bei den Gesundheitsbehörden ein neues Problembewusstsein geschaffen und zum Aufbau dauerhafter Kooperationen mit öffentlichen und privaten Partnern geführt mit dem Ziel, die negativen Auswirkungen sozialer Gesundheitsdeterminanten wie Homophobie und Heterosexismus zu bekämpfen, und insbesondere die Suizidalität zu verringern. In einem erweiterten Kontext floss diese gesundheitsrelevante Arbeit auch in die Präventionsarbeit gegen Homophobie an den Schulen und in die Opferhilfe ein. Und sie gaben mit den Anstoss für den Aufbau des Projekts Refuge bei Dialogai.
Gesundheitsbehörden und Gesundheitsfachpersonen
Wenn Schwule häufig Gesundheitsfachpersonen zu Rate ziehen und dennoch ständig bei schlechter Gesundheit sind, so deutet das auf Kommunikations- und Vertrauensmängel zwischen Behandelnden und Behandelten hin und lässt vermuten, dass letztere nicht angemessen betreut werden.
Um die Gesundheit von LGBT-Menschen zu verbessern, ist deshalb unbedingt eine Sensibilisierung von Gesundheitsfachpersonen für die spezifischen Gesundheitsbedürfnisse von LGBT-Personen erforderlich; entsprechende Ausbildungsmodule und die Vermittlung von Kommunikationstechniken müssen zudem dafür sorgen, dass die Äusserung der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität im diesem Kontext erleichtert wird. Die Mitarbeiter von Dialogai haben mehrere Massnahmen in diesem Sinne durchgeführt, ein ausführlicheres Ausbildungsprojekt ist bei den LGBT-Gruppen der Romandie in Ausarbeitung.
Anhörung und Unterrichtung der kantonalen und nationalen Gesundheitsbehörden sind ein wesentliches Element des Projekts Schwule Gesundheit. Dialogai ist mit dem Kanton Genf durch einen Leistungsauftrag verbunden und Mitglied der eidgenössischen Strategiegruppe Sexuelle Gesundheit, und hat sich mit diesen Einrichtungen regelmässig über seine Forschungsergebnisse und Projekte ausgetauscht. In Genf haben die Gesundheitsbehörden die Bedeutung von Gesundheitsproblemen der Gay Community über Aids und STI hinaus schnell erkannt. Sie förderten die Entwicklung des Projekts Blues-out im Rahmen des Genfer Bündnisses gegen Depression, und die jüngsten Leistungsaufträge zwischen Dialogai und dem Kanton Genf sehen eine Kampagne für schwule Gesundheit rund um das seelische Wohlbefinden vor. Auf eidgenössischer Ebene ist der Übergang vom Begriff der sexuellen Gesundheit hin zur Gesamtgesundheit für LGBT erst noch in Vorbereitung. Der Bericht psychische Gesundheit Schweiz und der Aktionsplan Suizidprävention wurden gerade verabschiedet, und die Umsetzung der beiden Strategien hat 2017 erst begonnen. Auch die Checkpoints sind schweizweit noch sehr auf die Arbeit im Bereich sexuelle Gesundheit konzentriert und haben bisher keine gesamtgesundheitliche Strategie entwickelt. Noch muss sich die Idee einer ganzheitlichen LGBT-Gesundheit durchsetzen, und die Akteure dieses Tätigkeitsfeldes stehen noch nicht fest. All diese Unwägbarkeiten führen dazu, dass gewichtige Fragen wie die gezielte Ausbildung von Gesundheitsfachpersonen für die gesundheitlichen Belange von LGBT-Menschen schweizweit nicht abgestimmt sind. Es gibt lokale Initiativen, die im wesentlichen von LGBT-Organisationen getragen werden.
Schliesslich bleibt die Frage nach der Erhebung und Analyse regelmässiger und verlässlicher Daten über die Gesundheit von LGBT-Menschen bisher unbeantwortet. Trotz mehrerer Anläufe wurden bis heute in die Schweizerische Gesundheitsbefragung (SGB) keine Fragen zur sexuellen Orientierung für alle Befragten, und auch keine Fragen zur Geschlechtsidentität aufgenommen.
Ausbildung und Sensibilisierung der Erziehungsfachpersonen sowie von Schülerinnen und Schülern
Mehrere Forscher haben die negativen gesundheitlichen Folgen beschrieben, die aus der Stigmatisierung und aus Gewalterfahrungen von LGBT-Menschen während ihrer Schulzeit erwachsen. Die Untersuchungen des Projekts schwule Gesundheit bestätigen diese Erkenntnisse. Sehr viele junge LGBT leiden unter Angst und unter depressiven Symptomen noch bevor sie sich selbst als Homosexuelle erkennen. Diese Belastungen, die in die verletzliche Zeit der Pubertät fallen, sind oft der Boden, auf dem Risikoverhalten und Suizidalität gedeihen.
Seit der Versammlung gegen Homophobie in den Schulen 2009, die vom Genfer Verband der LGBT-Gruppen organisiert wurde, ist homophobe Diskriminierung Gegenstand eines Präventionsprogramms an den Schulen in den Kantonen Genf und Waadt. Dialogai nimmt regelmässig an den Sensibilisierungsmassnahmen für Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrerinnen und Lehrer teil, und auch an Fortbildungen der Genfer Erziehungsfachpersonen, gemeinsam mit dem Genfer LGBT-Verband. Im Rahmen dieser Massnahmen geht es regelmässig auch um die Auswirkungen, die Homophobie und Heterosexismus auf die Gesundheit der jungen LGBT-Menschen haben.
Es wurde in den letzten Jahren also einiges erreicht, und doch bleibt noch viel zu tun. Die Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer erhält noch keine Schulung zu diesen Fragen und weiss nicht, wie sie mit homophoben Handlungen umgehen soll. Die Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler für Fragen der sexuellen und der geschlechtlichen Diversität bleibt mehr oder weniger dem guten Willen der Schulleiter überlassen. Zwar gibt es regelmässig Veranstaltungen in der nachobligatorischen Sekundarstufe II, aber in der obligatorischen Sekundarstufe I ist das noch überhaupt nicht der Fall, obwohl die Aussagen mehrheitlich klar darauf hinweisen, dass gerade hier Homophobie am deutlichsten spürbar und für die künftige Entwicklung der Schüler besonders schädlich ist.
Suizidprävention und Betreuung besonders gefährdeter Personen
Seit Bekanntwerden der Ergebnisse zur Suizidalität aus der Befragung von 2002 arbeitet Dialogai mit Stop Suicide zusammen, der Organisation für Suizidprävention bei Jugendlichen in der Romandie. Jahrelang war Stop Suicide die einzige Einrichtung für Suizidprävention, die LGBT-Menschen als besonders gefährdete Personengruppe anerkannte. Die landesweite Pressekonferenz von Dialogai im Februar 2013 zu den Ergebnissen der drei schweizerischen Befragungen zur Suizidalität stiess bei Medien und Politik auf ein sehr starkes Echo. In der Folge nahm der Kanton Zürich LGBT-Menschen als prioritäre Zielgruppe in sein Suizidpräventionsprogramm auf, und im Aktionsplan Suizidprävention 2016 wurde die Zielgruppe LGBT erstmals erwähnt, um nur zwei Massnahmen zu nennen. In Genf gehört Dialogai auch zum Netzwerk aiRedados, das 2013 von der Kriseneinheit Malatavie des Universitätsspitals Genf eingerichtet wurde mit dem Zweck, die Betreuung suizidgefährdeter Jugendlicher zu verbessern. In diesem Netz von Sozial- und Gesundheitsfachpersonen beteiligt sich Dialogai aktiv an der Ausarbeitung von Schulungsangeboten zur Erkennung der Warnzeichen für Suizid, zur Suizidprävention, aber auch zur Analyse der beruflichen Praxis. Schliesslich setzt Dialogai mit seinem Projekt Le Refuge einen klaren Akzent in Sachen Suizidprävention. Im Zuge der Umsetzung des nationalen Aktionsplans Suizidprävention sollten solche Aktivitäten nun systematischer verwirklicht werden.
Prävention homophober Übergriffe und Opferhilfe
Unsere Befragungen haben gezeigt, dass homosexuelle Männer drei bis vier Mal häufiger Opfer von Gewalt werden als die Männer der Gesamtbevölkerung, und dass diese Übergriffe zwischen 2007 und 2011 nicht zurückgegangen sind.
Angesichts der wiederholten homophoben Angriffe auf der Strasse und der regelmässigen Beschwerden von Opfern und Zeugen über das Verhalten der Polizei in solchen Situationen, beschloss Dialogai eine Arbeitsgruppe einzurichten, die mit der Genfer Polizei den Dialog aufnehmen und konkrete Lösungen vorschlagen sollte, um die Übergriffe zu verhindern und die Betreuung der Opfer zu verbessern. In dieser 2013 geschaffenen Arbeitsgruppe sitzen Vertreter der Genfer Kantons- und Stadtpolizei, der oder die LGBTIQ-Beauftragte der Stadt Genf, ein Mitarbeiter der Opferhilfe-Beratungsstelle (OHG), Vertreter und Vertreterinnen der basisnahen Praxis von Aspasie, Dialogai und der Aidshilfe Genf sowie betroffene Opfer zusammen an einem Tisch. Ziel der Arbeitsgruppe ist die Verbesserung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Polizei und den Opfern homophober Übergriffe, ausserdem die Reduzierung dieser Angriffe durch Präventions- und Informationsmassnahmen vor Ort. Erste positive Ergebnisse dieser Arbeit sind spürbar, und die Opfer schwerer homophober Angriffe sagen für das Jahr 2016, die Behandlung auf dem Polizeiposten sei besser geworden.