Die Sensibilisierung der Gay Community, von Politik und Gesundheitsbehörden, aber auch das Sensibilisieren und Ausbilden von Gesundheits- und Pflegefachpersonen für die besonderen Anfälligkeiten (Vulnerabilitäten) schwuler Männer sind Grundpfeiler der Arbeit für schwule Gesundheit. Denn leider sind die spezifischen Bedürfnisse schwuler Männer und die notwendigen Vorkehrungen, um sie respektvoll und angemessen zu pflegen, bei den Gesundheitsfachleuten weitgehend unbekannt. Bis heute ist der Glaube, Aids und sexuell übertragbare Infektionen (STI) seien die einzigen Gesundheitsprobleme von Schwulen, weit verbreitet. Angesichts dieser enormen Aufgabe, die mit Blick auf die gesamte LGBT-Gemeinschaft noch grösser erscheint, muss man sich fragen, wer am besten dazu taugt, die Arbeit zur Förderung schwuler Gesundheit zu leisten. Sind es die LGBT-Organisationen, die Aids-Organisationen oder die Akteure aus dem Bereich der Public Health?
Gesundheitsbehörden
Seit 1987 unterstützt die Gesundheitsdirektion des Kantons Genf Dialogai finanziell im Bereich der Aidsprävention. Für die Entwicklung des Projekts schwule Gesundheit wurde die Direktion von Anfang an (2000) konsultiert, und seither unterstützt sie es auch. Sie bewilligte zunächst das Vorgehen und förderte in der Folge die Entwicklung konkreter Projekte wie Checkpoint und Blues-out, mit moralischer und finanzieller Unterstützung. Bis heute wehrt sie sich aber trotz mehrerer Anträge dagegen, Dialogai mit der gesamtheitlichen Gesundheitsförderung für schwule Männer zu beauftragen, und finanziert den Verein weiterhin im Rahmen eines Gesetzes, in dem es ausschliesslich um HIV-Prävention und die anderen sexuell übertragbaren Infektionen geht. In der laufenden Leistungsvereinbarung wird Dialogai allerdings aufgefordert, die gesamte und namentlich die psychische Gesundheit schwuler und bisexueller Männer zu fördern.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die wissenschaftlichen Vorarbeiten zu der Befragung von 2002, die Präsentation der Befragungsergebnisse vor Akteuren der Aidsprävention in mehreren Städten und die Entwicklung des Pilotprojekts Checkpoint gefördert, letzteres mit dem Ziel, Checkpoint zu einem Modell zu machen, das in der Schweiz inzwischen auch mehrfach nachgeahmt wurde. Auch wurden die Forschungsergebnisse des Projekts schwule Gesundheit wiederholt vor Schweizer Forschern und Akteuren aus der Aidsprävention vorgestellt. In jüngerer Vergangenheit flossen die Ergebnisse des Forschungsprojekts über die Suizidalität in den Aktionsplan Suizidprävention Schweiz ein.
Gesundheitsfachpersonen
Die Tatsache, dass schwule Männer häufig Gesundheitsfachpersonen aufsuchen, aber doch ständig bei schlechter Gesundheit sind, deutet auf ein Problem bei der adäquaten Behandlung hin. Einerseits sind Gesundheitsfachpersonen im Hinblick auf die spezifischen Anfälligkeiten von LGBT-Menschen noch nicht genug ausgebildet, andererseits werden sie generell kaum darin trainiert, wie man mit Patientinnen und Patienten über Sexualität, sexuelle Orientierung oder Genderidentität spricht. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob Fragen der Gesundheit von LGBT-Personen in die Grund- oder in die Weiterbildung von Gesundheitsfachpersonen, insbesondere von Ärztinnen und Ärzten, mit einfliessen sollten. Die Frage ist bisher ungeklärt. In der Westschweiz werden derzeit in Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsexperten und LGBT-Organisationen einschlägige Ausbildungsmodule entwickelt.
Der Verband der Genfer Ärzte (AMGe) wurde von Projektbeginn an informiert, und in der Expertengruppe des Projekts waren auch Ärzte vertreten. Für das Projekt Checkpoint wurde ein Kooperationsvertrag mit der Abteilung bevölkerungsnahe Medizin des Genfer Universitätsspitals (HUG) abgeschlossen. Seit dem Aufbau des Gesundheitszentrums Checkpoint arbeiten mehr Ärztinnen und Praktikanten aus den verschiedenen Fachbereichen mit Homosexuellen und erhalten so eine Ausbildung in schwuler Gesundheit direkt vor Ort. In Zukunft könnte ein Praktikum am Checkpoint als vollwertiges Praktikum für das Medizinstudium anerkannt werden.
LGBT-Organisationen
Dialogai geniesst schweizweit eine Ausnahmestellung. Als einzige Homosexuellen-Organisation, die die HIV-Prävention professionell vorangetrieben hat, hat sie Kompetenzen in der bevölkerungsnahen Arbeit und Wissen in Gesundheitsfragen erworben, die ihr den Aufbau des Projekts schwule Gesundheit ermöglicht haben. Dennoch ist die Entwicklung des Projekts schwule Gesundheit und die Förderung der Gesamtgesundheit schwuler Männer auch für Dialogai eine Herausforderung. Ein so gross angelegtes, forschungs- und handlungsorientiertes Projekt verlangt von einer Organisation, dass sie ihr Interesse, ihre Mittel und ihre Aktivitäten über Jahre hinweg fast ausschliesslich darauf konzentriert.
Das Vorgehen, die Forschungsergebnisse und die konkreten Interventionsprojekte wurden wiederholt den Schweizer LGBT-Organisationen wie Pink Cross, Medigay, der Vereinigung der Westschweizer LGBT-Gruppen sowie dem Genfer Zusammenschluss der LGBT-Gruppen vorgestellt. Mit Unterstützung des BAG wurden 2003 in Zürich und in Lausanne im Rahmen eines nationalen Informationstages den Schwulengruppen der Deutschschweiz respektive der Romandie das Projekt schwule Gesundheit und dessen erste Ergebnisse vorgestellt, um sie zu einem Engagement in der gesamtheitlichen Gesundheitsförderung zu motivieren. 2006 wurde das Projekt bei der Internationalen Konferenz von ILGA präsentiert.
Unsere Arbeit stiess dabei bei einigen LGBT-Gruppen und Institutionen auf Interesse und regte zu weiteren Studien an wie derjenigen von Profa und Santé PluriELLE über die Gesundheit von Frauen, die Frauen lieben, oder zu dem Bericht der Arbeitsgruppe Gesundheit der PREOS-Aktionstage 2011. Manche Interventionsprojekte wurden in Zusammenarbeit mit anderen LGBT-Gruppen realisiert, so Blues-out mit der Genfer Organisation lesbischer Frauen Lestime.
Allerdings muss man leider festhalten, dass die grossen Schweizer LGBT-Organisationen bisher wenig Interesse dafür zeigen, sich im Gesundheitsbereich zu engagieren, um auf die Bedürfnisse ihrer Communities einzugehen. Einige sind auch der Auffassung, die Umfragen des Projekts schwule Gesundheit zeichneten ein zu tristes Bild der homosexuellen Männer, was deren Bild in der Gesellschaft schaden könne.
Aids-Organisationen
Die Aidshilfen und ihr Dachverband, die Aids-Hilfe Schweiz (AHS), haben sich ebenfalls für das Projekt schwule Gesundheit interessiert, insbesondere für Checkpoint, das 2005 von Dialogai gestartet wurde und konkret auf den Wunsch eingeht, die eigene sexuelle Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen, ohne diese auf Tests und die Behandlung von HIV und anderer STI zu beschränken. In den Folgejahren wurden Checkpoints von den Aidshilfen Zürich, beider Basel und Bern eingerichtet. Sehr schnell nahm der Checkpoint Zürich auch die psychische Gesundheit in sein Angebot auf. Insgesamt bleiben die meisten Aidshilfen noch vorwiegend auf HIV- und STI-Prävention fokussiert und scheinen bislang noch nicht in der Lage zu sein, eine gesamtheitliche Gesundheitsförderung zu betreiben.