Coming-out
Man hört immer wieder, es sei doch alles einfach geworden für die Homosexuellen. Und tatsächlich hat es in den letzten Jahren ja grosse Fortschritte gegeben, in gesetzlicher und rechtlicher Hinsicht, und auch bei den Moralvorstellungen in der Gesellschaft. Dennoch ist Homosexualität weiterhin stark stigmatisiert und Anlass für grosse Belastungen vor allem für die vielen Jugendlichen, die sich schon als Kinder anders fühlen. Auf dem Schulhof oder auf der Strasse ist «schwul» häufig immer noch (oder wieder) ein Schimpfwort, und der positive Umgang mit dem Schwulsein ist alles andere als selbstverständlich.
Das Coming-out ist denn auch ein risikoreicher Prozess, der in Einsamkeit und Heimlichkeit durchgemacht wird und fast immer von starken Ängsten begleitet ist. Anders als andere stigmatisierte Minderheiten reden die jungen Gays mit ihren Eltern nicht über die erlittene Diskriminierung, weil sie Angst haben, sie zu enttäuschen oder von ihnen abgelehnt zu werden.
Wenn das Coming-out gut verläuft, kann es ein glücklicheres Leben ermöglichen, indem man sich selber akzeptiert und weil man sich dann offen verlieben und eine Beziehung aufbauen kann. Wenn es negativ verläuft, kann das zu Depressionen, Suizidverhalten, Selbsthass und Hass auf Homosexuelle führen.
Das Coming-out ist eine Zumutung, die nie endgültig erledigt ist. Sein Leben lang muss sich der schwule Mann immer wieder und jederzeit die Frage stellen: schweige ich lieber in dieser Situation, lüge ich, oder sage ich, wer ich wirklich bin? Ein Gay kann auch nach seinem Coming-out beschliessen, seine sexuelle Orientierung wieder zu verheimlichen, wenn er zu oft auf negative Reaktionen in seinem Umfeld stösst.
2002
Phasen des Coming-out
Coming-out bezeichnet sowohl den inneren Prozess des Erkennens und Akzeptierens der eigenen Homosexualität (inneres Coming-out) als auch den Vorgang, mit dem man seiner Umgebung die eigene Homosexualität mitteilt (äusseres Coming-out).
Das Medianalter gibt an, dass eine Hälfte der Menschen diese Erfahrung vor diesem Alter, die andere Hälfte danach gemacht hat. Die Grafik stellt das Medianalter in vier Hauptphasen des Prozesses dar :
- 8 Jahre – das Alter, in dem man zum ersten Mal das Gefühl hat, anders zu sein
- 12 Jahre – das Alter, in dem man sich zum ersten Mal bewusst von einem Menschen des gleichen Geschlechts angezogen fühlt
- 18 Jahre – das Alter der ersten gleichgeschlechtlichen Beziehung
- 21 Jahre – das Alter, in dem man zum ersten Mal jemandem aus dem eigenen Umfeld seine Homosexualität mitteilt (eigentliches Coming-out).
Man entscheidet sich nicht, homosexuell zu sein, und man erwacht nicht unversehens eines Morgens als Schwuler. Viele Gays berichten, dass sie in ihrer Kindheit gespürt haben, dass ihre Interessen, Wünsche und Verhaltensweisen anders waren, und dass sie schon in sehr jungen Jahren wussten, dass sie den Erwartungen ihrer Eltern und der Gesellschaft nicht entsprechen. Das kommt in der Grafik als «erstes Gefühl des Andersseins» zum Ausdruck.
Seit einigen Jahren ist die Tendenz zu einem früheren Coming-out zu beobachten. Ein Coming-out in jungen Jahren hat den Vorteil, dass man früh das Schweigen über die eigenen Gefühle und Wünsche bricht; dass man sich nicht mehr verstecken muss und dadurch aus der sozialen und emotionalen Isolation herauskommt; dass man keine Angst mehr haben muss, von Familie und/oder Freunden abgelehnt zu werden, wenn alles gut geht. Es birgt aber auch das Risiko, von den Eltern, von denen man noch komplett abhängig ist, tatsächlich abgelehnt zu werden, oder Freunde zu verlieren, oder stigmatisiert und öffentlich gemobbt zu werden.
2002 - 2007 - 2011
Coming-out, Angst, Depression und Suizid
Medianalter des ersten Auftretens psychischer Symptome und des ersten Selbsttötungsversuchs
Die Grafik stellt das Medianalter dar, in dem Angst- bzw. Depressionssymptome bei schwulen Männern auftraten, die an diesen gelitten haben, und das Medianalter des ersten Suizidversuchs bei denjenigen, die einen solchen begangen haben.
Die ersten Anzeichen von Angst manifestieren sich mit zehn Jahren, am Ende der Kindheit, etwa beim Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe, noch bevor diese jungen Menschen wissen, dass sie sich zu Personen des gleichen Geschlechts hingezogen fühlen. Diese Erkenntnis bestätigt, dass sich viele Kinder anders fühlen noch bevor sie dieses Anderssein benennen können, und dass sie sich bewusst sind, dass die Gesellschaft dieses Anderssein nicht akzeptiert.
Zu Beginn der Pubertät wird der Jugendliche zum geschlechtlichen Wesen. Er nimmt bewusst wahr, dass er sich zu Personen des gleichen Geschlechts hingezogen fühlt. Oft versteht er in der gleichen Phase auch, dass das als Beleidigung gedachte «Schwuchtel» sein eigenes Sehnen bezeichnet, das was er ist, und das was er liebt. Das Tabu der Homosexualität hindert den jungen Schwulen sehr oft daran, jugendliche Verliebtheit zu erfahren und zu erleben und kann ihn dazu bringen, seine Wünsche zu verdrängen, sich sogar zu schämen, nicht für das, was er getan hat, sondern für das, was er ist. All diese Stressfaktoren können zur Depression führen, deren erste Zeichen mit 16 Jahren auftreten, in der Phase zwischen dem ersten bewussten Erkennen der eigenen Homosexualität und der ersten homosexuellen Beziehung.
20 Jahre ist das Medianalter des ersten Suizidversuchs, sehr nahe an dem Alter, in dem man erstmals im Umfeld über die eigene Homosexualität spricht. Dieser Zusammenhang zeigt, wie belastend das Coming-out für viele junge Schwule weiterhin ist. Für den ersten Selbsttötungsversuch werden mehrere Ursachen genannt, am häufigsten Liebes- und Beziehungsprobleme, Probleme mit dem Akzeptieren der eigenen Homosexualität und Probleme mit der Familie.
2002
Die Grafik ist das zusammengefasste Ergebnis einer Reihe von Fragen, die in drei Antwortkategorien gefasst wurden : schwach, mässig und stark. Sie lässt erkennen, ob Schwule sich mit ihrer Homosexualität wohl fühlen, ob sie sich als Teil ihrer Community empfinden und ob sie ihr Schwulsein gut akzeptieren oder sich dafür schämen.
Mehr als 20% der Teilnehmer erklären, dass sie lieber nicht Gay oder bisexuell wären. Viele von ihnen halten ihre Homosexualität für einen Makel und haben versucht aufzuhören, homosexuell zu sein. Nur etwas mehr als 30% akzeptieren ihre Homosexualität wirklich gut. Diese Daten zeigen, dass der Prozess des Sich-Annehmens alles andere als selbstverständlich ist, auch nicht nach dem ersten Coming-out. Der Umgang mit der alltäglichen Stigmatisierung und der gesellschaftlichen Herabsetzung von Homosexualität, mit den Diskriminierungen aufgrund bestimmter Vorstellungen von Geschlechtlichkeit (Weiblichkeit, Männlichkeit), verlangt gute psychosoziale Ressourcen, über die viele Gays heute (noch) nicht verfügen.
Fast 50% der Befragten haben ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zur schwulen Community.
47% haben ihr Coming-out umfänglich gemacht : Mutter, Vater, Geschwister, Freundes- und Kollegenkreis. 50% der schwulen Männer machen ihr Coming-out vor dem zwanzigsten, 21% nach dem 25. Lebensjahr.